Es ist 4 pm in Hinckley in der Grafschaft Leicestershire. Majestätisch erhebt sich das alt-ehrwürdige Adelshaus hinter dem akkurat geschnittenen englischen Rasen. Die polierte Teekanne mit dem exakt 2,5 Minuten gezogenen FTGFOP1-Darjeeling steht bereit, das Gebäck ist auf der Silberschale drapiert. Punkt 16:00 Uhr und 0 Sekunden ertönt das wohl gestimmte Glöckchen und ruft den Hausherren zum 4-Uhr-Tee.
Begleitet von einer Rauchwolke, mit ordentlich Heavy-Metall aus der Boom-Box, Lederjacke mit Nieten und Tattoo im Gesicht betritt dieser wenig später die Szene. Gießt sich erst einmal einen halben Liter Rum in den Tee und trinkt diesen dann mit elegant abgespreiztem kleinen Finger.
Ihr wisst schon vom wem ich spreche? Ich spreche von Speedy. Der neuen Triumph Speed Triple 1200 RS. Dem Rebellen unter den feinen englischen Motorrädern. Außen zornig, kräftig, agressiv. Technisch ausgefeilt, fein, edel. 4-Uhr-Tee eben.
Welcome
Nicht 4 pm, kein Vier-Uhr-Tee. Es ist ein sonniger Morgen in Oschersleben.
Da steht sie, die Speedy, und schaut grimmig in die Welt. Die Augen schauen zornig, die Lenkerenden-Spiegel lassen sie aussehen wie ein böses Insekt. Der kurze, gedrungene Sitz, der leicht nach vorne gekippte Motor und der nach oben gezogene Auspuff lassen die Speed Triple aussehen, als würde sie gleich zum Sprung ansetzen.
Ruhig, ruhig Kleine. Gleich geht’s los.
Technik
Insgesamt 180 PS und damit etwa 30 mehr als die Vorgängerin hat Triumph hier in den neuen, aber Triumph-typischen 12V DOHC 3-Zylinder Reihenmotor gepackt. 125 Nm bringt die Maschine auf die Straße, bei gerade einmal 198 kg Lebendgewicht. Damit spielt sie in der Klasse der BWM S1000 R, Ducati Streetfighter V4, Aprillia Tuono V4 1100 und Kawasaki Z H2 SE.
Das Aggregat steckt in einem Aluminium-Doppelrohrrahmen und bedient ein 17 Zoll Hinterrad an einer Einarmschwinge. Was nach Rennmaschine klingt ist ansonsten aber ein reinrassiger Roadster: kaum Verkleidung außer einem Kel unter dem Motor, selbst die Mini-Scheibe über dem Licht ist Sonderausstattung. Dazu ein Naked-Bike typischer Rohrlenker.
Bekannte Qualitätstechnik ist so verbaut, dass sie der interessierte Beobachter auch sicher nicht übersieht: das gelb-goldene Öhlins Federbein hinten, die Brembo Bremsen vorne.
Dazu werkeln Kurven-Traktionskontrolle, Kurven-ABS und Wheely-Control im Hintergrund. Über dem Schalthebel ist ein Quickshifter zu sehen. Dafür kein Zündschloss und keine analogen Anzeigeinstrumente.
Fahren
Ein Dreizylinder ist ein Dreizylinder, ist ein Dreizylinder. Triumph hat schon den ein oder anderen Tag Übung damit. Aber der Motor in diese Maschine ist bisher die Krönung.
Der Motor entfaltet schiere Power und ist gleichzeitig leise, diszipliniert, beinahe unauffällig. Auf der Rennstrecke liefert die Maschine über den gesamten Drehzahlbereich enormen Schub. Es gibt keine charakteristische Drehzahl, ab der oder bis zu der sich Leistung und Drehmoment charakteristisch entfaltet. Von kleiner Drehzahl bis zu den 11.500 Umdrehungen / Minute ist der Schub stark und die Kraftentfaltung linear. Auf den ersten Runden tue ich mich schwer den richtigen Schaltpunkt zu finden, weil die entsprechenden Hinweise vom Motor fehlen. Glücklicherweise hilft der gut ablesbare Drehzahlmesser hier bei der Entscheidung.
Benchmark ist der Quickshifter, der sowohl hoch wie runter butterweiche Schaltvorgänge erlaubt, ohne die Kupplung betätigen zu müssen. Fast schade, dass das Bike im normalen Betrieb über so weite Bereiche ohne Gangwechsel auskommt.
Die Bremsanlage ist brachial. Die Brembo-Bremsen packen beherzt zu und liefern bei der negativen Beschleunigung genau das, was der Motor vorher in positiver Richtung drauf gepackt hat. Wenn sie gerade nicht bremst neigt die Bremse aber auch gerne mal zum Quitschen. Ein Luxusproblem.
Auch auf der Landstraße zeigt sich die brachiale Gewalt dann nett verpackt. Ich verlasse versehentlich den Parkplatz im “Sport”-Modus, einem der fünf Fahrmodi, den die Maschine anbietet. Kombiniert mit den Schlaglöchern auf einigen sehr maroden Sträßchen im sachsen-anhaltinischen Umland und dem sehr direkten E-Gas der Triple erlebe ich den Straßenbelag mit prompten Beschleunigungs-Salven aus dem drehmomentstarken Motor. Aber versucht Ihr mal einen Grizzly-Bären sanft am Ohr zu kitzeln.
Im Modus “Road” mit mehr entspannter Hand entwickelt sich die Speedy aber schnell zu einem sehr komfortablem, extrem gut zu fahrenden Untersatz. Die Gasannahme ist immer noch spontan und giftig. Aber wer das mag findet hier ein wunderbar zorniges Spielzeug.
Sicherlich eher auf der agilen Seite des Durchschnitts macht das Bike Überholmanöver einfach, benötigt aber eher den erfahrenen und kontrollierten Fahrer. Für Anfänger ist das Bike zu stark, zu direkt und zu verführerisch. Oder um es in den Worten unseres Tourenguide zu sagen: “Zwei mal schalten und der Lappen ist weg”.
Glücklicherweise hat Triumph aber auch etwas Dreizylindrisches für den ruhigeren oder weniger erfahrenen Motorradfahrer im Programm. Zur Street Triple aber an dieser Stelle später mehr.
Sehen
Das Design der 2021er Speed Triple 1200 RS ist eine konsequente Weiterentwicklung der Speed Triple Optik. Nach Einfach-Scheinwerfer in den ersten Modelljahren, den runden Doppelscheinwerfern der späteren Jahre ermöglicht die LED-Technik eine modern wirkende Version der Speed Triple typischen frei stehenden Doppelscheinwerfer.
LED Technik auch im Heck erlaubt eine neue, besonders schlankere Optik auch von hinten. Die Kombination aus Einarmschwinge, den ins Heck integrierten LED Rücklichtern in angedeutetem “T” (oder ist es ein Vogel?) und dem extrem schlanken Nummernschild / Blinkerhalter wirkt sehr schick.
Insgesamt ist die Speed Triple sehr aufgeräumt. Triumph-typsisch ist das Design sehr “clean” – kaum ein Kabel oder Schlauch ist sichtbar, das meiste gekonnt unter der Oberfläche versteckt.
Bedienen
Triumph bietet für das Motorrad sein “My Triumph Connectivity” Paket an. Im digitalen Cockpit verstecken sich in Untermenüs Vorbereitungen für Navigation, Entertainment bis hin zur GoPro Integration.
Die Bedienung erfolgt, wenn das System einmal gestartet ist, über einen Joystick oberhalb des Blinkers und einer Menü-Taste auf der rechten Seite und ist nicht besonders intuitiv. Die Hauptanzeigen mit Drehzahlmesser und Tacho sind aber sehr übersichtlich und passen gut zum Bike.
Die Schlüssel-lose Bedienung, wie man sie von PKWs und auch anderen Motorradherstellern mittlerweile kennt, ist Geschmackssache. Ich weiß immer nicht wohin mit dem Schlüssel, wenn ich ihn nicht in ein Zündschloss stecken kann.
Fazit
Die Speed Triple 1200 RS ist ein straßenorientiertes und renntaugliches Hyper-Naked-Bike. Als sportliches Tourenbike ist es absolut für die Landstraße geeignet, braucht aber gute und erfahrene Biker, die gerne mal schneller reisen und mit der Kraft der Speedy umgehen können.
Ich jedenfalls bin glaube ich ein bisschen verliebt in das Motorrad…